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Aus dem Nähkästchen einer Lektorin

07.11.20, 12:00

Wieso eigentlich "aus dem Nähkästchen"?

Keine Frage: Jede/r einzelne von uns weiß, was mit der Redewendung „Etwas aus dem Nähkästchen erzählen“ gemeint ist! – Aber wissen Sie, liebe Leser/innen, woher diese bildhafte Darstellung ei­gentlich kommt? Ich selbst habe es lange Zeit nicht gewusst und möchte Ihnen in meinem letzten Beitrag der Reihe sagen, worauf diese Redewendung zurückgeht.    

Mit Sicherheit haben Sie schon einmal von Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ gehört, ihn viel­leicht in Ihrer Schulzeit lesen müssen – oder sogar freiwillig gelesen? – Im Zentrum dieses 1895 er­schienenen Gesellschafts–Romans steht die Tochter des Ritterschaftsrats von Briest, die als 17jähriges Mädchen den mehr als doppelt so alten Baron von Instetten heiratet und ihm als Ehefrau nach Hinterpommern in die kleine Kreisstadt Kessin folgt. Die neue Umgebung macht der lebensfro­hen, fantasievollen Effi Angst; denn allerlei Unheimliches in ihrem neuen Zuhause verunsichert die junge Ehefrau, und das gesellschaftliche Leben in Kessin langweilt sie. Selbst die Geburt ihrer Tochter Annie beseitigt nicht Effis Gefühl der Einsamkeit an der Seite ihres wenig einfühlsamen Mannes, der korrekt und prinzipientreu ist, aber mehr an seiner politischen Karriere arbeitet, als Effi ein liebevol­ler Ehemann zu sein.

Eines Tages wird der verheiratete Major Crampas, dem die Bezeichnung „Da­menmann“ bereits vorauseilt, nach Kessin versetzt, und es geschieht das, was Sie, liebe Leser/innen, vermutlich bereits ahnen: Ohne es eigentlich zu wollen – und vor allen Dingen mit ganz heftigen Schuldgefühlen – geht Effi eine kurze Liebesbeziehung mit dem leichtsinnigen, jegliche Prinzipien ignorierenden Crampas ein. Effi leidet unter dem, was sie tut, sodass sie geradezu erleichtert ist, als ihr Mann, der den „Kreis Kessin“ nur als Sprungbrett für seine weitere politische Karriere benutzt hat, nach Berlin ins Reichs–Ministerium berufen wird.
In Berlin kann Effi endlich wieder aufatmen, blüht in der Reichshauptstadt regelrecht auf, findet nicht nur gesellschaftlichen Anschluss, sondern auch Anerkennung – und freut sich daran, ihre Tochter Annie in einer lebendigen, schönen Umgebung aufwachsen zu sehen. Es sind sechs ruhige, unbeschwerte, einfach gute Jahre, die die junge Familie weit entfernt von Hinterpommern hat.  Doch eines Tages erfährt Baron von Instetten durch einen ganz dummen Zufall von Effis Affäre mit Major Crampas. Für ihn, den Mann mit Prinzipien, ist sein Lebensglück zerstört, allerdings nicht aufgrund verletzter Gefühle, sondern wegen seines vermeintli­chen Ehrverlustes: Pflicht, Moralkodex  seines Standes und die Gesellschaft zwingen ihn – davon ist er fest überzeugt – , Crampas zum Duell zu fordern, und das ohne Hass- oder Rachegefühle, sondern „einfach aus Prinzip“. Der Major wird in dem Duell tödlich verwundet. Effis Ehemann, der inzwischen im Reichs–Ministerium eine bedeutende Stellung bekleidet, führt kein Gespräch mit seiner Frau über das, was vorgefallen ist. Ohne ein einziges persönliches Wort oder einen Abschied von Annie muss Effi Mann und Kind verlassen und lebt mehrere Jahre völlig zurückgezogen als geschiedene Frau in einer sehr einfachen Wohnung. Auch ihr Elternhaus bleibt ihr zunächst verschlossen. Allerdings darf Effi als Todkranke „nach Hause“ zurückkommen, wo sie mit nicht einmal 30 Jahren stirbt: innerlich mit sich selbst im Reinen, aber auch in ihrem guten Herzen mit dem inzwischen verbitterten und vereinsamten Instetten versöhnt.

„Und was hat das alles mit dem ‘Nähkästchen‘ zu tun?“, werden Sie jetzt mit Recht fragen. Hier ist die Antwort: Als Effi für mehrere Wochen zur Kur ist, stürzt die inzwischen etwa 7-jährige Annie auf der Treppe und blutet; Kinder– und Hausmädchen wollen die Kleine mit einer Binde verarzten, die sie in Effis abgeschlossenem Nähkästchen vermuten. Deshalb brechen sie das Kästchen auf, durchwüh­len es von oben nach unten, ohne die erhoffte Binde allerdings zu finden. Dabei legen sie alles, was das Näh­kästchen enthält, auf das Fensterbrett, darunter auch „ein kleines Konvolut [Bündel] von Briefen, das unter dem dritten Einsatz gelegen hatte, ganz unten, mit einem roten Seidenfaden umwickelt“ (Ende des 26. Kapitels). … Bevor die Mädchen wieder alles zurücklegen können, kommt Baron von Instetten aus dem Ministerium nach Hause, sieht und liest die alten Liebesbriefe von Crampas, die ihm „aus dem Nähkästchen“ genau das „erzählen“, was Effi ihm nie erzählt hat.

Nun - nachdem sie das Geheimnis der gewählten Überschrift ihrer Blogreihe gelüftet hat - dankt die Redaktion der Autorin Dorothea Klein herzlich für die Einblicke nicht nur in die Arbeit der Lektorin sondern auch einer kritisch reflektierten Christin, die die Heilige Schrift aus dem Glauben für das Leben deutet.

Katholischer Kirchengemeindeverband Hürth

Severinusstraße 61-63
50354 Hürth | Hermülheim

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