Im Religionsunterricht der Grundschule wird die Erschaffung der Welt behandelt, und die Kinder sollen dazu ein Bild malen. Die Lehrerin geht durch die Klasse, um den Kindern zuzusehen und fragt eine Sechsjährige, was sie da gerade male. „Ich male Gott“ antwortet das Mädchen.
„Oh“, sagt die Lehrerin, „ich glaube, das geht nicht. Niemand weiß, wie Gott aussieht!“ Darauf selbstsicher die Schülerin: „Warten Sie, bis ich fertig bin, dann wissen Sie es!“
Die „Zehn Gebote“ sind gewissermaßen so etwas wie das Grundgesetz des Bundes Gottes mit den Menschen. Der zweite „Paragraf“ der Zehn Gebote lautet: „Du sollst dir kein Bild machen, kein Abbild dessen, was im Himmel droben und was auf Erden hier unten und was im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen ...“ (Ex 20, 3-5).
Die Nachbarvölker Israels vergegenwärtigten ihre Götter in plastischen Darstellungen. Diese Bilder stellten sie in den Tempeln auf, um die Anwesenheit ihres Gottes dort anzuzeigen und ihn anzubeten. Sie zeigten seine Stärke, z.B. als siegreicher Kriegsherr wie hier auf diesem Foto von einer Ausgrabung auf der Akropolis von Aleppo, das ich im Jahre 2010 machen konnte oder sie schrieben ihm z.B. die Potenz eines Stieres zu, wie es in der Geschichte vom „Goldenen Kalb“ berichtet wird (Ex 32).
Als Maßstab für die Macht dieses Gottes werden also menschliche oder tierische Eigenschaften genommen. Damit wird aber dieser „Gott“ zu einem menschlichen Produkt.
Der Gott, der sich dem Volk Israel offenbart, ist dagegen kein von Menschen gemachter Gott, sondern der Herr über die gesamte Schöpfung, so unvorstellbar, dass niemand ihn beschreiben kann. Nicht einmal mit einen Namen will sich dieser Gott handhabbar machen lassen, als Mose von Gott den Auftrag erhält, die Israeliten aus Ägypten in die Freiheit zu führen (Ex 3, 13f); er sagt zu Mose, er solle ihn seinem Volk als „YHWH - Ich bin da“ vorstellen. Das ist kein Name, das ist ein Versprechen!
Bilder kennen wir auch in der christlichen Kunst, nicht nur von Heiligen, sondern bedenklicherweise auch von Gott. Bedenklich ist das, weil damit Gott zum Gegenstand menschlicher Projektionen wird und die Gefahr besteht, dass diese mit der Wirklichkeit Gottes verwechselt werden. Das geht soweit, dass sich bei vielen Menschen z.B. das Bild Gottes als alter Mann mit weißem Rauschebart verfestigt hat, der enthoben von unserer Welt hoch oben im Himmel auf seiner Wolke sitzt. Oder das Bild Gottes als der unerbittliche Richter, der über die Taten jedes Menschen akribisch Buch führt, um am Ende, am Jüngsten Tag, Abrechnung zu halten und jedem das zu geben, was er verdient. „Ein Auge ist’s, das alles sieht, auch wenn’s in dunkler Nacht geschieht!“ Vielleicht erinnern Sie sich noch an ähnliche Sprüche einer schwarzen Religionspädagogik aus ihrer Kindheit.
Gott, der Allmächtige, Gott, der Mann, Gott, der erbarmungslose Richter, Gott, der Vergelter, der Rächer, der Vernichter seiner Feinde – alles diese und noch viele andere sind Bilder, die Gott vergegenständlichen. Wir dürfen sie nicht für bare Münze nehmen und sollten mit ihnen wir äußerst vorsichtig umgehen.
Das 4. Laterankonzil hielt 1215 fest, dass Gott zwar vom menschlichen Geist erkannt werden könne, dass jedoch alle Aussagen über ihn trotz aller Ähnlichkeit die größte Unähnlichkeit enthalten. Kein Mensch kann Gott angemessen erklären oder definieren. Von Gott kann man nicht so reden, als wäre er irgendein Ding dieser Welt, das man in die Tasche stecken kann.
Von Karl Barth (1886 - 1968), dem großen evangelischen Theologen, dessen Theologie vor allem um das von Menschen unauflösbare Geheimnis Gottes, des „ganz Anderen“, kreiste, wird folgender (theologische) Witz erzählt:
Karl Barth liegt im Sterben und tut seinen letzten Atemzug.
Trauernd umstehen die Familie und seine Freunde das Totenbett.
Plötzlich schlägt er zur Überraschung aller die Augen auf.
Fassungslos sagen die Umstehenden: „Wir dachten, du wärst tot.“
Barth antwortet. „Ja, das war ich auch.“
„Und wie war das? Hast du Gott gesehen?“
„Ja, ich habe Gott gesehen.“
„Und wie ist er?“
Und nachdenklich antwortet Karl Barth: „Ganz anders …“